Zurück in die Zukunft?
Oft muss man, um nach vorne zu
sehen, zuerst einen Blick in die Vergangenheit
werfen. 
Sechzig Jahre nach der Unterzeichnung
des Pariser Vertrags muss man ehrlich
zugeben, dass große Schritte in die von
diesem Dokument vorgegebene Richtung
gemacht worden sind. Andererseits muss
man sich auch der vielen Dinge bewusst
sein, die noch zu tun sind, um diesem Vertrag
einen vollendeten Sinn geben und
seinen Geist verwirklichen zu können. Die
Errungenschaften des Pariser Vertrags sind
auf der Ebene der Gesetzesbestimmungen
und der Autonomieentwicklung sehr weit
fortgeschritten. Was die kulturelle Entwicklung
und die Beziehungen zwischen den
Sprachgruppen betrifft, bestehen hingegen
weiterhin Mängel und Unzulänglichkeiten,
die manchmal Aufsehen erregend und verblüffend
sein können. 
Gleich eingangs sei erwähnt, dass der Pariser
Vertrag beim Durchlesen noch heute
nicht nur aktuell sondern auch sehr weitblickend
wirkt. Ein Beispiel dafür ist Artikel 3.
Sind da nicht etwa einige Voraussetzungen
für die Entstehung des neuen Europas bereits
vorgezeichnet – und dabei sind wir erst
im Jahre 1946? Hier geht es natürlich um die
Beziehungen zwischen zwei bestimmten
Staaten, aber es sind Themen, die den Weg
in die EU begleiten werden: Anerkennung
der entsprechenden Schul- und Universitätssysteme,
grenzüberschreitender Austausch,
freier Personen- und Güterverkehr.
Schon damals also, im Jahre 1946, begann
der Grenzbegriff an sich - zumindest in
den aufgeklärtesten Köpfen - unzeitgemäße
  Züge anzunehmen. Am meisten überrascht
  im besagten Artikel 3 die Bestimmung, wonach
  die gesamte Frage der Option und
  ihrer Folgen neu geregelt werden muss.
  Was wir heutzutage als eine Selbstverständlichkeit
  betrachten, war im Jahr 1946 etwas
  Unerhörtes. Millionen deutschsprachiger
  Bürger wurden in diesen Jahren ohne viele
  Umschweife aus ihren Wohngebieten verstoßen,
  was eine tiefe und heute noch nicht
  ganz verheilte Wunde verursacht hat. Bereits
  damals gaben Gruber und Degasperi – abgesehen
  von den nachträglichen diplomatischen
  Auslegungen – zu, dass eine Situation
  wie die Südtirols (sowie ganz allgemein
  die Frage des Zusammenlebens verschiedener
  Volksgruppen) keine staatsinterne
  Angelegenheit ist, sondern viele Elemente
  von gemeinsamem Interesse (und von gemeinsamer
  Verantwortung) enthält. Sehr aktuell ist auch Artikel 1. Darin wird
  die volle Gleichberechtigung zwischen den
  Sprachgruppen Südtirols festgelegt. Die
  Rechte, welche die italienischsprachigen
  Einwohner genießen – so der Wortlaut des
  oben genannten Artikels – stehen auch den
  deutschsprachigen Einwohnern zu. Und,
  würden wir heute hinzufügen, auch den ladinischen
  Einwohnern. Es liegt auf der Hand,
  dass dasselbe auch umgekehrt gilt. Heute
  könnte man diesen Artikel wie folgt umschreiben:
  Personen, die zu Minderheiten oder zu
  sozial, wirtschaftlich und politisch schwächeren
  Gruppen gehören, „genießen die volle
  Gleichberechtigung“ mit den Personen, die
  zur dominierenden Gruppe gehören. 
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Paolo Valente